Die einen greifen überzeugt zum Halsband, die anderen schwören aufs Geschirr. Manchmal scheint die Hundemenschen-Welt in diesem Punkt in zwei Lager gespalten zu sein. Kann man das Thema auch sachlich angehen? Man kann!

Ein kleines Experiment vorweg

–schnipp–

Bevor Du weiterliest, lade ich Dich zu einem kleinen Experiment ein. Leg Dir einmal ein Halsband um und hänge die Leine ein. Bitte eine Freundin oder einen Freund, die Leine zu halten – nur halten, sonst nichts. Du richtest den Körperschwerpunkt ganz vorsichtig nach vorne. Dein Körpergewicht hängt nun mehr und mehr im Halsband. Ähnlich wie bei einem ziehenden Hund.

Wie lange kannst Du diese Position halten? Was spürst Du? Kannst Du noch gut atmen? Schlucken? Staut sich das Blut im Kopf? Wird Dir vielleicht sogar schwindelig?

–schnipp–

Das Halsband und seine Wirkung

Ich weiß nicht, wie es Dir mit dem Experiment ging, aber mich hat es sehr beeindruckt. Meine Übersetzung: Wenn wir Hundemenschen ein Halsband bei unserem Hund einsetzen, sollte uns bewusst sein, dass wir hier auf einen sehr sensiblen Körperbereich einwirken. Je nachdem, wie viel Kraft wir anwenden, kann dieser Bereich auch Schaden nehmen. Denn am Hundehals befinden sich wichtige Organe, wie Schilddrüse, Kehlkopf, Luftröhre, Lymphknoten und große Blutgefäße.

Auf der Abbildung oben bzw. der nun noch einmal folgenden sieht man sehr gut, wie klein der Raum eigentlich ist, auf den ein Halsband einwirkt.

Auswirkungen des Halsbands auf den Hals unter Zug und Druck - Blogartikel #1 7Dogs Hundebetreuung Kassel

Tierärzte bringen die häufig bei Hunden auftretende Schilddrüsenunterfunktion mit dem Halsband in Verbindung. Denn genau auf diesen Bereich wird mit dem Halsband häufig anhaltend Druck ausgeübt oder stark geruckt. Die Folge können Entzündungen sein, die meist zu spät erkannt werden und eine Schilddrüsenunterfunktion begünstigen sollen.

Auch die Wirbelsäule reagiert sehr empfindlich. Die Halswirbelsäule zum Beispiel mag seitliches Rucken überhaupt nicht und quittiert das oft mit verschobenen Wirbeln. Was dann wieder zu Lahmheiten führen kann usw. usf.

Wie sieht es mit der innerartlichen Kommunikation aus? Wird die beeinflusst? Auf jeden Fall! Hier ein Beispiel. Wird stark am Halsband gezogen, erhöht sich der Augeninnendruck. Die Augen können je nach Rasse deutlich hervortreten. Dieses vermeintliche Glotzen kann auf andere Hunde bedrohlich wirken und missverstanden werden. Stichwort: Aggression.

Und zu guter Letzt lernen unsere Hunde über Assoziation. Hier grüßt der gute alte Pawlow. Stell Dir vor, Dein Hund – an Halsband und Leine – entdeckt seine Lieblings-Hass-Katze. Wie reagierst Du normalerweise? Vielleicht nimmst Du ihn intuitiv etwas kürzer, vielleicht ruckst Du auch kurz an der Leine, um Dich bemerkbar zu machen. Das aber tut erst mal weh. Je nach Halsband bekommt Dein Hund auch keine Luft mehr. Er verknüpft nun die Katze mit diesem Schmerz, mit der Atemnot. Das führt zu immer mehr Hass. Ein Teufelskreis beginnt.

Und wenn es in unserem Beispiel um andere Artgenossen gehen würde, kannst Du Dir vorstellen, wie schnell das zu einer veritablen Leinenaggression führen kann.

Geschirr über alles?

Heißt das nun: auf zum Geschirr? Ganz so einfach können wir es uns leider nicht machen. Zunächst aber können wir feststellen, dass sich der Druck bei einem Geschirr auf eine viel größere Fläche verteilt. Das entlastet den Hals schon einmal um ein Vielfaches. Ein deutlicher Vorteil also.

Allerdings passen viele Geschirre nicht wirklich gut, rutschen, können bei Zug auch mal drücken und behindern den Bewegungsablauf. Viele sitzen zu weit vorne in der Achsel. Das kann scheuern, wunde Stellen verursachen und den Hund dazu bringen, eine Schonhaltung einzunehmen.

So wie auf dem folgenden Bild sollte es aussehen. Hier übrigens ein Original-Feltmann-Kreuzgeschirr. Ein Geschirr, das ich absolut favorisiere. Zu den Gründen mehr weiter unten.

Beispiel für einen Hund mit zu korrektem Abstand in der Achsel - Blogartikel #1 7Dogs Hundebetreuung Kassel

Laut der Jenaer Studie (2006) spielt auch die Aktion des Schulterblatts bei einem Hund in Bewegung eine wesentlich größere Rolle als bisher angenommen. Ein Geschirr darf die Vordergliedmaße nicht einschränken. Der tiefste Punkt am Bug sollte etwas unterhalb der Brustbeinspitze sitzen.

Beispiel für einen Hund mit korrektem Geschirr am Bug und tiefstem Punkt am Brustbein - - Blogartikel #1 7Dogs Hundebetreuung Kassel

Nicht jedes Geschirr kann das gewährleisten. Zum Beispiel Norwegergeschirre, die mit den vorderen Riemen über den Schulterbereich laufen und oft zu eng sind. Auf dem folgenden Bild kannst Du zwei wesentliche Nachteile von Norwegergeschirren sehen. Zum einen ist der Abstand von Baugurt und Beinen viel zu gering. Das führt in der Regel zu schmerzhaften Scheuerstellen. Zum anderen die Lage des Brustgurts auf der Schulter. An dieser Stelle ist die Bewegung des Vorderbeins stark einschränkt.

Beispiel für einen Hund mit viel zu engem Norwegergeschirr - Blogartikel #1 7Dogs Hundebetreuung Kassel

Wenn Du tiefer in das Thema Bewegungsablauf einsteigen möchtest, hier noch ein Tipp: Die Ergebnisse der Jenaer Studie sind 2011 in dem Buch „Hunde in Bewegung“ im Kosmos Verlag erschienen. Es richtet sich explizit auch an Laien.

Mein Fazit

Wir tun uns und unseren Hunden auf jeden Fall einen Gefallen, wenn wir undogmatisch und verantwortungsvoll an dieses Thema herangehen. Denn wie vieles im Leben, hat auch die Frage nach Geschirr oder Halsband zwei Seiten. Weder Geschirr noch Halsband sind per so gut oder schlecht. Zieht ein Hund stark an der Leine oder springt immer wieder ins Halsband, kann der empfindliche Halsbereich dauerhaft geschädigt werden. Hier wäre ein Geschirr sicher das Mittel der Wahl. Vorausgesetzt, es sitzt einwandfrei.

Läuft ein Hund ohne zu ziehen an der Leine und lässt sich gut kontrollieren, spricht auch nichts gegen ein Halsband. Es ist  leichter zu handhaben und deutlich preiswerter als ein Geschirr. Auch, wenn ein Hund gerne schwimmt, ist ein Halsband pragmatischer.  Aber, ein Halsband nimmt jeden Hundebesitzer in die Pflicht. Denn Leinenführigkeit ist hier das Zauberwort.

Übrigens: Dass man mit einem Halsband mehr Kontrolle über den Hund hat als mit einem Geschirr, ist ein glatter Irrtum. Es wirkt bei manchen Hunden vielleicht so, weil ihnen schlicht und ergreifend die Luft abgeschnürt wird. Ziehen an der Leine ist aber ein gelerntes Verhalten. Und Leinenführigkeit ist keine Frage der Macht sondern eine Frage der Kommunikation. Und mal ganz ehrlich, geht man so mit seinem besten Freund um?

Zusammenfassend kann man also sagen, es kommt wie so oft darauf an. Im Idealfall kennt ein Hund beides. So kann ein Hundebesitzer je nach Situation auswählen, was er einsetzt.

Geschirre oder Die Qual der Wahl

Zu Geschirren gibt es unzählige Angebote in den Fachgeschäften und im Online-Handel. Hier gilt es die Spreu vom Weizen zu trennen. Leider kommst auch Du daran nicht ganz vorbei. Bevor es damit losgeht, will ich Dir auf jeden Fall noch ein paar Tipps mitgeben. Schließlich habe ich schon einiges ausprobiert. Den einen oder anderen Fehlkauf mit eingerechnet. Und warum solltest Du ähnliche Fehler noch mal machen, die Dich vor allem Zeit und Geld kosten können. Also, los gehts.

Am Ende dieses Artikels findest Du eine Checkliste mit wichtigen Kriterien, die Du beachten solltest, wenn Du ein Halsband oder ein Geschirr kaufen möchtest. Schau Dir das mal an, druck es idealerweise aus und nimm es am besten auf Deine Abenteuerreise mit. Ich würde auf jeden Fall nicht nur im Web schauen, sondern auch in den örtlichen Fachhandel gehen. Auch wenn ich selbst dort nicht wirklich fündig geworden bin, kann das für Deinen Hund ganz anders aussehen. Und, Du kannst die Geschirre vor Ort anfassen, ausprobieren und ein Gefühl dafür entwickeln. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Aber: Wenn Du im Geschäft gut beraten wurdest, honoriere das am besten auch mit Deinem Kauf vor Ort. Nichts ist schädlicher für den Einzelhandel vor Ort, als Kunden, die sich im Geschäft beraten lassen und dann online kaufen, weil es ein paar Euro günstiger ist. Und besser für die Umwelt ist es allemal.

Zwei nennenswerte Geschirre „aus dem Web“

Doch ich komme nicht umhin, Dir zwei Geschirre vorzustellen, die Du in der Regel nicht im Einzelhandel findest, leider.

Mein absoluter Favorit ist das Original-Feltmann-Kreuzgeschirr des Institus Feltmann-v.Schroeder. Weiter oben hast Du es auf einigen Bildern auch schon gesehen. Ich verwende es für Chico und bin begeistert von den Einstellmöglichkeiten, die dieses Geschirr bietet, der Passgenauigkeit und dem guten Gefühl, das ein Hund beim Tragen hat. Mit einer Polsterung würde ich es noch besser finden. Doch Feltmann argumentiert damit, dass der perfekte Sitz wichtiger ist als jede Polsterung. Damit kann ich leben. Neben den Standardgeschirren gibt es auch welche für Minis, Möpse und für Ausbruchsexperten ein NoExit-Geschirr. Infos und Bezugsquellen findest Du direkt auf der Seite des Instituts (http://www.institut-feltmann.com/das-brustgeschirr/).

Die Geschirre von AnnyX (www.annyx.de) verwende ich nicht (einfach auch, weil ich sie zu spät entdeckt und schon genug hier liegen habe). Doch einige meiner Kunden sind sehr zufrieden damit und auch ich würde sie in die engere Wahl nehmen, wenn ich gerade eins suchen würde. AnnyX macht einen guten Eindruck mit Blick auf Passform und Bequemlichkeit. Auch die beschreibenden Videos und die Maßtabellen auf der Webseite gefallen mir. Geh am besten mal auf die Seite und mach Dir selbst ein Bild.

Das Wichtigste zusammengefasst

Mit der folgenden Checkliste bekommst Du eine gute erste Orientierung, wenn Du ein Halsband und/oder ein Geschirr für Deinen Hund kaufen bzw. anwenden möchtest:

Ein Halsband ist für Deinen Hund geeignet, wenn er

  • absolut leinenführig ist
  • wegen einer Verletzung o.ä. kein Geschirr tragen kann
  • kaum an die Leine kommt
  • länger liegen muss (z.B. im Auto)

Ein gutes Halsband

  • ist möglichst gepolstert
  • hat einen fixem Klickverschluss

Die richtige Breite

  • Ein Halsband sollte mindestens so breit sein wie die breiteste Stelle der Hundenase (Nasenspiegel).

Absolute No-Gos (oft auch tierschutzrelevant)

  • Stachelhalsbänder, Endloswürger (auch die mit Zugstop und besonders Ketten),
  • Elektrohalsbänder/Teletakt, sog. Erziehungshalsbänder und alles andere,
  • was über Schmerz oder Erschrecken beim Hund das Verhalten beeinflussen soll.

Ein Geschirr ist für Deinen Hund geeignet, wenn er

  • noch stark an der Leine zieht
  • fast nur an der Leine läuft
  • an der Schleppleine läuft (dann ist ein Geschirr absolute Pflicht)
  • Aggressionen an der Leine zeigt (z.B. gegenüber Artgenossen)

Ein gutes Geschirr

  • verrutscht nicht
  • ist aus weichem, anschiegsamen und waschbarem Material
  • ist möglichst gepolstert und scheuert nicht
  • ist individuell auf den Hundekörper anzupassen
  • ist so einzustellen, dass es ca. eine Hand breit hinter den Achseln sitzt (Kleine Rassen = 2-3 Finger breit) und bei Zug nicht über den Rippenbogen in die Weichteile rutscht
  • hat längen- und größenverstellbare Schieber und/oder Schnallen an Bug und Seite
  • hat stabile und bruchfeste Schnallen und Schieber
  • kann am Bug so eingestellt werden, dass der Druck auf das Brustbein verhindert wird (der tiefste Punkt sitzt unterhalb der Brustbeinspitze)
  • sitzt über den Schultern und lässt den Schulterblättern genug Freiraum, so dass sie sich uneingeschränkt bewegen können
  • schränkt den Hund in seiner Bewegung absolut nicht ein
  • Merke: Geschirre, in die ein Hund erst hineinsteigen muss (step-in), empfinden viele Hunde als unangenehm.

Bitte immer dran denken. Halsband und Geschirr sollten nicht dauerhaft am Hund bleiben. Wenn Du also mit Deinem Hund zu Hause bist, Ihr Euch irgendwo länger aufhaltet oder einfach über Nacht, solltest Du es im Interesse Deines Hundes grundsätzlich abnehmen.

Buchtipps:
– Effects of the Application of Neck Pressure by a Collar or Harness on Intraocular Pressure in Dogs von Amy M. Pauli, Ellison Bentley, Kathryn A. Diehl, Paul E. Miller (2006)
– Hunde in Bewegung von Martin S. Fischer Dr. Karin E. Lilje

Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von: Dog Games Ltd, A. Hoffmann von brustgeschirr.com, P. Wedderborn

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